Letztes Wochenende besuchte ich meine Eltern. Der rote Sputnik nach Magdeburg (RE 1) war wie immer um diese Zeit, am Samstagvormittag, gut gefüllt. Im Ostbahnhof musste sich eine Familie mit ihren Fahrrädern beim Einsteigen beeilen und teilte sich auf zwei Türen auf. Das klappte ja noch. Doch in den folgenden Bahnhöfen kamen weitere Radausflügler hinzu. Die wollten alle mindestens bis Wannsee fahren, mehr aber bis Potsdam und Werder. Verstellten die ganzen Ausgänge im Zug. Da hatten einige dann Angst, nicht mit ihrem Rad noch reinzukommen. Weiß nicht, ob es wirklich alle noch rein geschafft haben. Unser Zug konnte deshalb nicht pünktlich abfahren am Hauptbahnhof und Zoologischen Garten. Unglaublich, was dieser Bahn-Radtourismus inzwischen für Ausmaße annimmt!
Mein Artikel von vor einem Jahr über die bevorstehende Eröffnung des Havelradwegs bei uns an der mittleren Havel wird in den letzten Wochen verstärkt über Google aufgerufen. Meine Eltern staunen auch, wie häufig jetzt Radlergruppen an unserem Haus vorbeikommen. (Meine Mutter freut sich dann, wenn sie eine Bemerkung über den Gartenteich hinterm Zaun aufschnappt.).
Ist ja schön, wie sich meine Heimat seit meiner Jugend von der Infrastruktur her verbessert hat - Für mich war die Schönheit der Landschaft an der mittleren Havel nichts Besonderes, weil ich damit aufgewachsen bin. Für mich war dieses flache Land an der B1 (längste Fernverkehrsstraße Deutschlands von Aachen bis Königsberg) relativ langweilig. Mit dem Rad jockelte ich über die Wiesen und Felder, hatte bald nichts neues mehr zu entdecken. Mangels Radwegen und weil ich kein so gutes Rad hatte, kam ich auch nicht so weit wie heute die Radler auf ihren eigenen Straßen, die für Autos gesperrt sind, kommen. Nehmen wir als Beispiel den Riezer See, ein Vogelparadies. Da war ich erst letztes Jahr zum ersten Mal mit dem Rad, allerdings mit der Scheese meines Vaters - auf dem Rückweg war die schmierige Kette nach innen abgerutscht und hatte sich so verhakt, dass ich kilometerweit lief, bevor ich sie doch noch wieder gelöst bekam, bekam aber deswegen noch was wegen des von Norden über die Havel herangerückten Gewitters ab.
Na jedenfalls: Früher traf ich kaum jemanden an auf den Streifzügen, höchstens ein paar Bauern im Traktor. Heute wegen des so gut ausgebauten Radweges begegnen einem ständig fremde Radler in albern bunten Trikots, denen man Platz machen muss. - Es ist nicht mehr so ruhig. Ich meine, ich fühle mich nicht mehr so ungestört. Den Vögeln im Schilf geht es vielleicht ähnlich.
An den Wochenenden zuvor war ich innerhalb Berlins zweimal zu Fuß und dann auch mit dem Rad an der Havel unterwegs, in Grunewald und Spandau, jeweils an den östlichen Ufern. Da gibt es viel zu entdecken. Man kann sogar von Insel zu Insel hoppen. Da stehen noch weitere Abschnitte auf meiner Wunschliste. Vor ein paar Wochen habe ich eine organisierte Radtour von Buch aus nach Birkenwerder, durch das Briesetal mitgemacht. Unsere Gruppe kam an einem Kunstpark vorbei, mit Steinfiguren und Holzkunstwerken wie ein Marterpfahl. Wir kamen an Seen, z.B. den Gorinsee, wo man gut baden kann, an ein Schloss, an dem schon ein paar Filme gedreht worden waren und die Briese ist ein Bach, in dem Bäume stehen. Ein Feuchtwald, in dem es Biber gibt. Der Radweg führte diesen Bach entlang.
Jaja, es ist schon toll, welche Landschaften es in Berlin und der nahen Umgebung gibt. Die Aussicht von der Friedrichshöhe und der Wilhelmshöhe in Werder (letztens am 1. Mai, zum Baumblütenfest) auf die Havel runter sind auch toll. Für mich sind diese Touren schöner als Stadtrundgänge oder Radtouren im Zentrum Berlins.
Da brauchen die St. Petersburger gar nicht so angeben mit ihrer Newa, deren Arme sich häufig durch Mauern zwängen, so hoch, dass man vom Boot aus nicht sieht, was sich auf der Straße nebenan abspielt. Von wegen Venedig des Nordens. Berlin hat zwar mehr Brücken als Venedig, braucht aber diesen Vergleich nicht. Das Lebensgefühl in oder mit dieser grünen und wasserreichen Umgebung ist doch entspannter und fördert unsere Kreativität (Und radfahren in St. Petersburg kann man vergessen.). - Vielleicht lässt sich die Bahn mal was einfallen, wie sie mehr Räder in die Provinz transportieren kann. Die Züge müssen länger werden. Nicht nur vier Wagen.